Maximilian Clemens Heinrich Nitschke

Mein Lebenszweck

Am 17. November 1865 in Rützow, Kreis Körlin/Kolberg geboren, verlebte ich als Sohn des Pastors Nitschke mit weiteren 10 Geschwistern, von denen heute noch 7 leben und zusammen über 500 Jahre alt sind, die ersten Lebensjahre hier und später in Lupow, Kreis Stolp. Als ich älter wurde, kam ich zunächst auf das Gymnasium nach Kolberg und dann nach Stolp. Beim Tode meines Vaters in den 80er Jahren mußte ich mit meinen Geschwistern die Schule verlassen und einen Beruf ergreifen. Ich erlernte die Landwirtschaft und diente in Culm beim Jägerbataillon meine Militärzeit ab. Dann war ich als junger Inspektor in verschiedenen Provinzen (Pommern, Brandenburg, Sachsen) tätig, und auf Grund guter Zeugnisse und Empfehlungen bekam ich am 1. April 1891 im Alter von 26 Jahren die selbstständige Administratorstelle in Neuhoff bei Leba übertragen. Diese hatte ich bis 1. Oktober 1899 inne. Im Jahre 1894 heiratete ich meine Frau in Leba.

Das bei meiner Übernahme total runter gewirtschaftete Gut hatte ich in den damals landwirtschaftlich sehr schlechten Jahren in kurzer Zeit wieder in die Höhe gebracht. Zum Dank dafür hatte mich die damalige Besitzerin des Gutes, Frau von Strantz, testamentarisch lebenslänglich mit Pensionsberechtigung angestellt. Trotz der äußerst guten Anstellung ließ ich diese nach dem Tode der Besitzerin fahren und kaufte im Jahre 1899 mit zirka 5000 Mark erspartem Gelde das früher Bahrsche Hotelgrundstück in Leba. Inzwischen hatte ich schon von Neuhoff aus eine Molkerei-Genossenschaft in Leba gegründet, erbaute die Molkerei und war längere Zeit Vorsitzender der Genossenschaft.

Mein Hauptaugenmerk in Neuhoff war aber darauf gerichtet, eine Staatseisenbahn nach Leba zu bringen. Eine vom Kreis Lauenburg nach Berlin gesandte Deputation war mit einem ablehnenden Bescheid zurückgekehrt. Systematisch habe ich nun wohl in 10 Zeitungen, die von den Städten von Lauenburg bis Öls in Schlesien runter und in den Nachbarstädten Stolp und Danzig gedruckt wurden, alle 14 Tage Artikel lanziert, die die unbedingte Notwendigkeit einer zu erbauenden Staatsbahn aus dem Herzen Schlesiens in gerader Linie von Öls bis Leba betonte. Diese Artikel wanderten zu den maßgebenden Stellen nach Berlin.

Ein kritischer Augenblick trat ein als der Kreisausschuß in Lauenburg beschloss, für Vorarbeiten einer schmalspurigen Tertiärbahn von Lauenburg über Roschütz nach Ossecken mit späterer Abzweigung nach Leba 5000 Mark auszuwerfen, da ja einer vorher nach Berlin gesandten Deputation zur Erwirkung einer Staatsbahn ein abschlägiger Bescheid erteilt war. Durch scharfe Zeitungsartikel versuchte ich den geplanten Bau der Tertiärbahn zu Fall zu bringen. Mit verdoppelter Tätigkeit setzte ich mich mit Beweisartikeln in verschiedenen Zeitungen für die Notwendigkeit der Erbauung einer Staatseisenbahn ein.

Meine Bekanntschaften und meinen ganzen Einfluss bei den damaligen Stadtvätern von Leba benutzte ich, sie davon zu überzeugen, daß unbedingt von Leba eine Deputation zum Eisenbahn- und Finanzminister nach Berlin fahren müsste. Die Stadtverordneten gingen hierauf ein und wählten den Fleischermeister Albert Rademacher und den Fischereipächter Ferdinand Gaedtke in die Deputation. Der Magistrat wählte den damaligen Bürgermeister Haake hinzu. Mit großer Mühe machte ich den beiden Stadtverordneten eine Aufstellung über die voraussichtliche Rentabilität der zu erbauenden Bahn, dem Fischereipächter über den Fang und den voraussichtlichen Versand der Fische aus der Ostsee und den Binnengewässern, dem Rademacher über die im Norden des Kreises liegende Landwirtschaft mit ihren Brennereien, Ziegeleien und Glashütten, ihrem Versand von Vieh und Holz und Bedarf von künstlichem Dünger, Kohlen usw. Auch auf die Strecke südlich des Kreises über Bütow hinaus wurde dabei hingewiesen.

Der Landtagsabgeordnete Herr von Below-Saleske und Reichs- und Landtagsabgeordneter Wiel, die schon vorher sich viel um die Erbauung dieser Bahn bemüht hatten, erwirkten bei dem Eisenbahnminister Thielen und beim Finanzminister Miquel die Vorlassung dieser Deputation. Es gelang der Deputation, diese Herren mit ihrem vorgetragenen Material zu überzeugen. Die Bahn Leba - Bütow wurde gebaut. Es war eine schwere, stille Arbeit gewesen, der Erfolg ein großer. So manche Nacht hatte ich dabei geopfert. Die wenigsten ahnten, wer damals der stete stille Kämpfer für die Bahn war.

Im Oktober 1899 gab ich meine, für damalige Zeit vorzügliche Stellung in Neuhoff auf und kaufte mit meinem, im Lauf der Jahre schwer ersparten 5000 Mark das Bahrsche Hotel in Leba. Noch im selben Herbst baute ich eine Bühne an den alten, ganz kleinen Saal und eine Flügel mit Fremdenzimmern in der Seitenstraße, da in dem kleinen Hotel nur drei kleine, schlecht eingerichtete Fremdenzimmer waren. Schwere Jahre habe ich dann mit meiner Frau durchleben müssen, und so manche Nacht war schlaflos, ehe ich die eingegangenen Schulden allmählich abtragen konnte. Doch es ging bergauf.
Mit ersparten und geborgten Mitteln kaufte ich dann das in der Nähe liegende Rittergut Sarbske und verkaufte es wieder mit gutem Verdienst. Dann erstand ich ein vollständig runter gewirtschaftetes Brennereigut im Schlochauer Kreise, brachte dieses drei Jahre lang neben meiner Wirksamkeit im Hotel in die Höhe, musste es dann aber Knall und Fall ohne jeden Verdienst verkaufen, da ich eines Leidens wegen zu einer Operation nach Berlin fuhr. Nach meiner Heilung kehrte ich in meine Hotelwirtschaft in Leba zurück.

Stark beteiligte ich mich in Leba im Laufe der ganzen Jahre im Genossenschaftswesen. Außer der Molkereigenossenschaft war ich Gründer der Raiffeisen-Kasse, dann der ländlichen Spar- und Darlehenskasse, der Villenbaugenossenschaft, zuletzt der gemeinnützigen Warmbadgenossenschaft und war bei allen lange Jahre Vorsitzender. Bei der Gründung der Viehgenossenschaft war ich ebenfalls beteiligt und lange Jahre Vorsitzender des Aufsichtsrates.

Mit einem Mitglied der Villenbaugenossenschaft, Herrn von Massow, schloss ich einen Vertrag wegen Erbauung des heute stehenden Kurhauses. Es kam dann der den meisten noch in Erinnerung stehende Abbruch der Dünen, wodurch das Kurhaus 1913 unrettbar verloren schien. Von der Landesbehörde wurde wegen Gefährdung von Menschenleben der Abbruch des Gebäudes angeordnet. Ich kaufte das Kurhaus auf Abbruch, erwarb einen Tag später Grund und Boden und nahm trotzdem Befestigungsarbeiten am Strande vor, die glückten. Jedoch bei der großen Sturmflut vom 9. bis 11. Januar 1914 wäre dasselbe doch noch beinahe fortgerissen. Eine noch stärkere Befestigung am Fuß der Kurhausdüne und später die Buhnenbauten haben wohl für immer die Gefahr beseitigt.

Längere Jahre war ich Stadtverordneter in Leba, auch Kirchenverteter. Doch zog ich mich hiervon zurück, da ich mich für die in solchen kleinen Orten herrschende Ortspolitik nicht begeistern konnte. Ich erreichte viel mehr für Leba durch mannhaftes Eintreten in der Presse. Mit dieser habe ich überhaupt viel gearbeitet und nicht nur Artikel in Politik, sondern auch aus dem Leben gebracht.

Für den Hafen in Leba brach ich manche Lanze. Im Laufe der Jahre baute ich in der Speicherstraße ein 8-Familienhaus, ferner eine Villa und baute zwei gegenüber meinem Hotel liegende, von mir gekaufte Häuser aus. Ich erwarb ferner im Lauf der Jahre zirka 50Morgen Land in Leba, pachtete die Fischerei vom Neuhöffer See und das 60 Morgen große Wiesengut Rumbke. 1917 erwarb ich das 750 Morgen große Waldgut Schönehr und 1918 das 220 Morgen große Restgut. Da Gebäude hier total verfallen, hatte ich mit der Wiederherstellung viele Mühe und Kosten.

Mein einziger guter verstorbener Sohn, der vor dem Kriege Landwirtschaft erlernt hatte und gesund aus dem Felde als Offizier zurückkam, obwohl er 5mal verwundet war, übernahm nach seiner Rückkehr die Bewirtschaftung des Gutes. Derselbe war Tag und Nacht auf dem Posten, um aus verödeten Waldflächen Acker zu schaffen. Daneben wirkte er mit seinem ganzen jugendlichen Feuer ununterbrochen für die nationalen Parteien. Ein plötzlicher Tod durch einen Unglücksfall riß ihn hinweg. Beim ungewohnten Blasen eines Jagdhorns auf einer Treibjagd platze ihm ein Herznerv, da seine Organe wohl in den vier langen Kriegsjahren geschwächt waren. Dies war ein Schlag, der mich und meine Frau auf das tiefste verwundetete. Jahrelang brauchte ich, um dies zu überwinden und will nicht aussprechen, was für Gedanken mich erfassten.

Ich verkaufte in Leba mein Hotel, meine Häuser, meine Ländereien, gab die Pachtung von Rumbke und vom Sarbsker See auf, ebenso die von mir gepachtete Bahnhofswirtschaft, behielt nur das Kurhaus und das Gut Schönehr und zog mich nach Schönehr zurück, wo meine Schwiegertochter mit einem zwei Monate alten Jungen von meinem Sohn zurückgelassen war. Durch diesen plötzlichen Verkauf 1921 verlor ich bei der Inflation einen guten Teil meines mit meiner Frau in unermüdlicher Arbeit erworbenen Vermögens.

Meine Frau und ich, wir haben mit nichts angefangen und unsäglich schwer Tag und Nacht gerungen und gearbeitet, ehe wir uns eine Grundlage schaffen konnten. In diesem meinem Kampf ums Dasein habe ich mich außerdem mit allen meinen Fasern für die Förderung des Ortes Leba eingesetzt, wie auch zuletzt von Schönehr aus. Stets war mein Augenmerk darauf gerichtet, für Baumpflanzungen einzutreten, und alle Birken in dem Villenviertel und auf dem Bahnhof habe ich allein mit meinem Fuhrwerk vom Sarbsker See geholt und die ersten Anfänge des jetzt hohen Stangenholzes hinter der Mampedüne geschaffen.

Von der heutigen Generation in Leba weiß niemand mehr etwas von früheren Zeiten. Zu erwähnen ist noch, dass ich mit meiner unermüdlichen Frau das schöne, direkt an der See gelegene Kurhaus, dank auch der weit berühmten Küche, so in Schwung brachte, dass hier die höchsten Personen des Reiches im Sommer häufig Aufenthalt nahmen. Besonders aus dem Westen sah man viele Familien als Gäste des Hauses.

Alsdann gründete ich 1928 die Pommersche Segelflugschule in Leba, die sich ähnlich der Rosittener in Ostpreußen entwickelte. Zur Einweihung der Schule war sogar der Staatsminister Dominikus aus Berlin herübergekommen, sowie andere höhere Staatsbeamte, Regierungspräsident usw. In Anerkennung meiner Verdienste um die Fliegerei wurde mir von dem Staatsminister eine wertvolle Plakette überreicht, auf der meine Verdienste als Vater der pom. Fliegerei und der Pom. Segelflugschule in goldenen Buchstaben eingeprägt waren.

So kann ich mit Genugtuung soviel Geschaffenes in Leba für mich buchen (in den letzten Jahren auch noch die Gründung und den Bau der Warmbadgenossenschaft). Viele Anfeindungen habe ich dabei erdulden müssen, jedoch so mancher in Leba, der nicht von Krämergeist und Rückschrittlichkeit befangen war, sah meine Arbeiten und hielt zu mir durch dick und dünn, besonders die älteren Verstorbenen. Viele kleine Leute zählte ich früher besonders zu meinen Freunden.

O Leba mit ungeheuren Zukunftsmöglichkeiten, es wäre dir zu wünschen, dass sonst gute Menschen an maßgebender Stelle, denen es leider an Weitsichtigkeit fehlt, abtreten möchten, um dem rollenden Wagen nicht dauerend in die Speichen zu fassen. Und wenn ich nun vielen mit meiner harten Schale zu nahe getreten bin, so wollte ich doch nur Gutes. Habe ich hierbei diesem oder jenem Unrecht getan, so möge er mir nach meinem Tode vergeben.

Maximilian Nitschke
Leba, den 20. November 1935