Segelflugschule Leba

Segelflugschule Leba in der Lonzkedüne

Der Anfang

Der Segelflug wurde durch den Rhön-Wettbewerb 1920 weltbekannt. Man nutzte auf Eigenkonstruktionen die aufsteigende Luftströmung am Hang. Anfangs flog man Minuten, dann Stunden; später kamen auch Strecken im Hangaufwind hinzu. Die ersten Segelflugschulen entstanden: Wasserkuppe, Rossitten und Grunau. Sehr bekannt wurden u. a. die Flüge des ostpreußischen Volksschullehrers Ferdinand Schulz, der mit seiner “Besenstilkiste” auf der kurischen Nehrung am 28.05.1924 8 Stunden 42 Minuten und 1925 14 Stunden 7 Minuten flog. Am 14.05.1927 erreichte er bei einem Flugan der Ostseeküste an den Vordünen von Rossitten nach Memel 60,2 km. Schulz überlegte, wo er an der Küste längere Streckenflüge ausführen könnte. Ihm erschien wahrscheinlich die ziemlich gradlinig verlaufende Küste Ostpommerns bei NNW-Winden geeignet. Zu einer Ortsbesichtigung kam er 1928 nach Leba, um an Ort und Stelle die Möglichkeiten zu erkunden. Da er im Kurhaus wohnte, kam es zu längeren Unterhaltungen mit dem Kurhausbesitzer Maximilian Nitschke. Dieser erkannte schnell, dass sich das Wanderdünengebiet auf der Nehrung zwischen Ostsee und Leba-See zu einer Segelflugschule eignen könnte. Zu der mit dem erfahrenen Schulz für einen späteren Zeitpunktvereinbarten Beratung über die Eignung und den Platz für eine sich empfehlendeAnlage kam es leider nicht mehr, weil Schutz am 16.06.1929 über Stuhm/Westpreußen mit dem Motorflugzeug abstürzte.

Maximilian Nitschke, ein steter Förderer der Entwicklung Lebas zu einem bekannten Badeort,verfolgte zielstrebig die Idee – die Gründung einer Segelflugschule -. Er nahm Verbindung auf mit dem Luftfahrtverband, mit dem Landratsamt in Lauenburg und mit demRegierungsbezirkin Köslin. Auch aufgeschlossene Bürger in und um Leba unterstütztenseinen Plan.Eine durch eine Vergrößerung frei gewordene Jugendherbergsbaracke standzur Verfügung. Aus Spenden konnte bei der Lebaer Sägerei und Zimmerei Kuglin eineeinfache Holzhalle (etwa 15 x 20 m) in Auftrag gegeben werden. Die preussische Hofkammer(Verwaltung Schmolsin) als Besitzer der Nehrung stellte das für die Schule vorgesehene Gelände gegen eine Anerkennungsgebühr zur Verfügung.

Das Luftamt genehmigte die Segelflugschule.
Nach schwierigen Transporten wurden im Sommer 1930 die Baulichkeiten, die Unterkunftsbaracke und die Flugzeughalle, errichtet. Das Lager entstand in einem Dünenkessel südwestlich am Fuß der Lonske Düne inmitten von Heidekraut und Sonnentau. Eine Straßenverbindung ab Rumbke gab es nicht. Erst 1934 wurde vom Arbeitsdienstein einfacher, befahrbarer Feldweg bis etwa 1 km vor dem Lager ausgebaut. Die Pommerngruppe des Deutschen Luftfahrtverbandes stellte für die Anfängerschulung eine Gleitflugzeug zur Verfügung. Allerdings mit der Auflage, dass es keine Mittel für den allgemeinen Schulbetrieb bereitstellen könne.

Maximilian Nitschke

Eröffnung

Am 31.08.1930 war es dann soweit. Maximilian Nitschke hatte sein Ziel erreicht. In einer Feier in dem neuen Lager dankte er allen, die ihn bei seinen Bemühungen unterstützten. Die Pommersche Segelflugschule wurde vom Präsidenten des Deutschen Luftfahrtverbandes, Reichsminister a.D. Dominikus, eingeweiht. Der Ausbildungsbetrieb konnte beginnen!

Maximilian Nitschke bei der Eröffnung

Reichsminister a.D. Dominikus bei der Eröffnung

Die Verwaltung

Da zwischen der Lonske Düne und Leba keine Straßenverbindung bestand, konnte sich die Verwaltung bis 1935 nur in Leba befinden. Der Schriftwechsel, das Bestellwesen, die Anmeldungen wurden anfangs von M. Nitschke, danach von Lehrer Völz ehrenamtlich erledigt. Nach dem schnell gewachsenen Umfang übernahm Frl. Völz diese Aufgabe. Durch den Deutschen Luftfahrtverband erhielten die angeschlossenen Gruppen (Vereine) Kenntnis von den Ausbildungsmöglichkeiten in Leba. 1932 und 1934 gab es auch Prospekte, aus denen einige Teile wiedergegeben werden. Die Lehrgangsdauer betrug in der Regel zwei Wochen. Es gab öfter parallel laufende Fluggruppen. Während der Ferienzeiten konnten manchmal nicht alle Anmeldungen berücksichtigt werden. Die Teilnehmer kamen aus dem gesamten Reichsgebiet. Mit der Anmeldebestätigung war die Möglichkeit einer 50%-igen Fahrpreisermäßigung bei der Reichsbahn verbunden. Die Beförderung mit dem Motorboot, von Leba zur Lonske Düne, war kostenlos.

Aus den sonstigen Bedingungen:
Lehrgangsgebühr für DLV-Mitglieder 20,- (für Nichtmitglieder 40,-)
Verpflegung pro Tag 2,- 28,-
für Decken und Wäsche einmalig 0,75
für Unfallversicherung 2,25
Insgesamt 51,-

Es war verständlich, dass bei diesen niedrigen Tagessätzen kein Bedienungspersonal tragbar war. Die Lehrgangsteilnehmer übernahmen den Küchendienst: wie Kartoffeln schälen, Geschirr spülen und -abtrocknen. Während der Anwesenheit von Fluglehrer Willi Ott war dankenswerterweise seine Frau als Wirtschafterin tätig. Von 1932 bis 1935 übernahm diese Aufgabe die tüchtige und energische Frieda Klück, die später Tischlermeister Lietz heiratete.

Das Lager

Wegen einer fehlenden festen Straßenverbindung erfolgten alle Personen- und Materialtransporte von Leba zur Lonske Düne in einstündiger Motorbootfahrt über den Leba-See (Bootsführer Max und Emilie Zibell). In Lagernähe war im Schilfgürtel ein Landesteg angelegt worden. Über dem Lager wehte die von Hans Troschel entworfene Lagerfahne.

Baulichkeiten: In der Wohnbaracke befanden sich ein Aufenthaltsraum mit kleiner Kochgelegenheit sowie Schlafsaal, Frauenraum und ein kleines Büro. Für persönliche Bedürfnisse diente ein kleines, abgelegenes Häuschen „Sternwarte“ genannt. Es gab keine Wasserleitung, sondern nur eine Handpumpe; für Licht sorgte die Petroleumlampe. Postalisch versorgt wurde das Lager durch einen Briefträger, der täglich auf einem Fahrrad am Strand entlang kam. In der ersten Zeit gab es eine telefonische Verbindung nur über ein Feldtelefon bis Rumbke. Wichtige Mitteilungen wurden von dort über das Posttelefon weitervermittelt. Die einfache Flugzeughalle (etwa 15 x 20 m) hatte keinen Boden. In einer Ecke auf einem Tisch befanden sich befanden sich Material und Werkzeuge für kleinere Reparaturarbeiten. Im Winter 1933/34 konnte eine größere alte Unterkunftsbaracke aufgestellt werden. Sie enthielt einen großen Schlafsaal, 4 kleine Zimmer und auf der Giebelseite eine kleine Werkstatt. In dieser war auch das „Elektrizitätswerk“ untergebracht, ein mit Benzin angetriebenes 24 Volt Stromaggregat. Das war auch das Ende der Petroleumlampe. Die Erweiterung war notwendig geworden, weil sich Regierungsrat Hans Helbig vom Kultusministerium entschieden hatte, die Segelflugausbildung von interessierten Berufsschullehrern ab 1934 nach Leba zu legen. Diese Lehrer hießen im Lager freundschaftlich Scheiche; also war diese Baracke „Der Scheichenpalast“.

Die Fluggeräte

Die benötigten Gleit- und Segelflugzeuge stellte die Pommerngruppe des DLV. Das erste  Gleitflugzeug aus dem Flugzeugbau Schneider-Grunau war eine Grunau 9 (auch Schädelspalter genannt). Es wurde auf den Namen des „Vaters“ der Schule „Maximilian“ getauft. 1931 folgte aus dem Flugzeugbau Schleicher-Poppenhausen ein „Hol´s der Teufel“. Später folgten: „Zöglinge“,  Fliege und 2 Grunau-Babys. Für den Transport der Flugzeuge auf der Düne gab es in dem weichen  Sand doppelrädrige, leichte Stahlkarren mit breiten Blechrädern. Es fehlten jegliche motorische  Hilfen. Kleinere Reparaturen führte die Lehrgangsteilnehmer unter der Anleitung der Fluglehrer  selbst aus. Nachdem später eine Werkstatt zur Verfügung stand, hatten zwei hauptamtliche  Flugzeugbauer diese Aufgabe übernommen. Im Winter 1934/35 wurden von der Landesgruppe über die Pommerschen Ortsgruppen Werkstattleiter-Lehrgänge einberufen. Da im Lager auf der Düne ein Winterbetrieb aus mehreren Gründen nicht möglich war, musste die Lehrgänge im Ort  Leba stattfinden. Ich übernahm die Leitung (Bauprüfer II). Die Teilnehmer wohnten in der  Jugendherberge. Im Saal des Gasthof Noffke entstand für die Wintermonate ein Flugzeugbau- Betrieb. Neben dem theoretischen Unterricht sind in dieser Zeit ein Grunau Baby und eine  doppelsitzige Grunau 8 gebaut worden. Beim Einfliegen dieser Flugzeuge im Frühjahr bestätigte sich korrekte Bauweise,durch einwandfreie Flugeigenschaften.

Die Ausbildung

In einem Wanderdünengebiet mit einem tiefen Sand war die heute nicht mehr übliche einsitzige Anfängerausbildung ideal. Der weiche Sand schwächte harte Landungen ab. Folglich wenig Bruch. Zu meiner Zeit gab es keinen schweren  Unfall, keinen Arm- oder Beinbruch. Zu einer Fluggruppe gehörte etwa 12 Lehrgangsteilnehmer. Die Zahl der Fluggruppen richtete sich nach den Anmeldungen. In den Ferien waren bis zu 4 Fluggruppen am Start. In Leba konnte bei jeder  Windrichtung, außer Süd- und SO-Wind, geschult werden. Günstig war die gleich bleibende Windstärke, keine Böen. Es gab nur wenig wetterbedingte Ausfälle. Der Beginn der Ausbildung auf einem einfachen Gleitflugzeug hatte immer die gleiche Reihenfolge. Nach der Einweisung in die Wirkungsweise der Ruder begann man mit Rutschern, danach mit Sprüngen und Steigerungen, bis eine Höhe erreicht wurde, die einen 30 sk-Flug (A-Prüfung) zuließ. Nach dem Beherrschen  des Kurvenfluges konnte auf einem Flugzeug mit verkleidetem Führersitz (Hol´s der Teufel) die B-Prüfung erflogen werden: 5 mal 1 Minute mit S-Kurven und Ziellandung. Längere Flüge, die C-Prüfung, 5 Minuten mit Startüberhöhung,  wurden bei Nordwind (mind. 10 m/sk) an den Vordünen ausgeführt. Die ersten C-Prüfungen gab es am 30.08.1931 mit 42 und 48 Minuten. Während meines Aufenthaltes auf der Lonske Düne habe ich ein Tagebuch geführt, das leider  verloren gegangen ist. Es enthielt: Zahl der Lehrgangsteilnehmer, tägliche Angaben über Wind und Wetter, die Startzahlen und abgelegte Prüfungen sowie besondere Vorkenntnisse. Über die Gesamtzahl der Lehrgangsteilnehmer aus dem gesamten Reichsgebiet kann ich bis 1935 keine verbindlichen Angaben machen. Es waren mit Sicherheit weit über 1000, dazu entsprechende Prüfungen. Nähere Einzelheiten vom Ausbildungsbetrieb folgen in den „Veröffentlichten Teilnehmer- berichten“.

Das Lagerleben

Es ging spartanisch zu. Da eine Wasserleitung fehlte, erfolgte die Morgenwäsche unter der Handpumpe oder durch ein Bad in der Ostsee. Die Mahlzeiten wurden 1930/31 von Frau Ott (Frau von Fluglehrer Ott) in der Liliputküche zubereitet. Diese Aufgabe übernahm 1932 die sehr tüchtige Frieda Klück aus Klucken, nach ihrer Hochzeit Frau Lietz. Als Hilfen für den Küchenbetrieb waren die Lehrgangsteilnehmer beim Kartoffelschälen und Geschirrspülen tätig. Die körperlichen Anstrengungen beim Transport und beim Start (motorische Hilfen gab es nicht) sorgten für kräftigen Hunger. Schnell entwickelten sich unter diesen Bedingungen Fröhlichkeit und Kameradschaft. Freundschaften entstanden, die auch Jahre überdauerten. Es gab kaum einen Streit im Lager. Auch mit den wesentlich älteren Berufsschullehrern, die sich überall begeistert einsetzten, kam es schnell zu freundschaftlichen Beziehungen mit den übrigen Lehrgangsteilnehmern. Im Sommer war die Schule in steigendem Umfang das Ziel von Touristen und Badegästen. Es waren „Fremde“. Manchmal landete ein Motorsportflugzeug auf dem festen, breiten Strand, was bei West- oder Ostwind möglich war. Besonders haben wir uns über den Besuch von Dipl.-Ing. Hermann Mayer, Dozent an der Staatl. Höheren Maschinenbauschule Stettin – den bekannten Segelflieger und Konstrukteur der Segelflugzeuge M I und M II, gefreut. Er machte auch einen Start vor der Düne. Leider stürzte er am 07.05.1933 über den Borkenbergen ab. Viele ehemaligen Lehrgangsteilnehmer kamen auch später gern auf die Düne. Sie waren von den Flugmöglichkeiten in der einmaligen Landschaft und vom Lagerleben begeistert. Man fühlte sich wohl in diesem „Haufen“. Die harmonischen Verhältnisse die auch in den angefügten Berichten erkennbar sind, waren sicher auf eine Folge der Abgeschiedenheit und fehlender Ablenkungen. Wenn aus den seltenen Gründen – Sturm, Windstille, Regen- oder am Abend kein Flugbetrieb möglich war, gab es außer Karten- oder Brettspielen genügend fröhliche Abwechslung. Es werden einige geschildert, die mir in Erinnerung geblieben sind. Bei Wind ab 12/sk zeigte der Fluglehrer manchmal nicht genehmigte Startvarianten wie Start ohne Gummiseil oder das Drachenstehen am Strand. Hierbei wurde das Gummiseil mit einem 80 m langen Stahlseil verbunden und dieses in die Kupplung am Grunau Baby eingeklinkt. Mit dem Gummiseil wurde noch mal gestartet. Das Flugzeug hob ab und stieg schnell gefesselt auf größere Höhe. Auf dieser konnte man stehen bleiben wie ein Drachen, so lange, wie die Startmannschaft das Seil hielt oder der Fluglehrer ausklinkte.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus den Erinnerungen von Johannes Settgast.
Er ist Urheberrechtlich geschützt und darf nicht kopiert oder vervielfältigt werden.
Ein Dank an Wolfgang Settgast, welcher gestattet diesen Text hier zu veröffentlichen.